‚Wer Schwäche eingesteht, der ist stark‘, so titelt DIE ZEIT in ihrer Ausgabe Nr. 39 vom 5. August in einem Beitrag über die olympischen Spiele in Tokio. Eine ganze Seite wird sich mit einem neuen Bild von Sport-Stars beschäftigt. Da gibt es beispielsweise die amerikanische Turnerin Simon Biles, die ihre Sportart revolutioniert hat, die vier Goldmedaillen und neunzehn WM-Titel geholt und nun, während der olympischen Spiele, ihren Platz im Teamwettbewerb abgegeben und fast alle Starts in den Einzelwettbewerben abgesagt hat. Erst mal klingt das nach einer bitteren Niederlage, doch Biles versteckt sich nicht, sondern spricht ganz offen über ihr verlorenes Selbstvertrauen, über ihre ‚Dämonen‘, über ihre medizinische und therapeutische Hilfe, die sie in Anspruch genommen hat. DIE ZEIT meinte, dass gerade diese Offenheit eine vermeintliche Niederlage zum Triumph werden ließ, weil Themen mit einer Klarheit angesprochen wurden, die man bisher nicht kannte.
„Ich hatte das Gefühl, dass ich für andere turne. Das tut mir einfach im Herzen weh, denn das zu tun, was ich liebe, wurde mir irgendwie genommen, um anderen Menschen zu gefallen“, so Biles.
Gerade dieses Zitat beschreibt etwas, was auch in der Musik so weit verbreitet ist, dieses ‚Anderen-Menschen-Gefallen-Wollen‘. Denken Sie mal darüber nach, liebe Leserin, lieber Leser, wie oft es Ihnen ähnlich erging. Wie oft haben Sie sich schon geschämt, weil Ihnen in der Probe oder im Konzert etwas nicht gelungen ist? Wie oft haben Sie, bevor eine schwierige Stelle zu spielen war, plötzlich gezweifelt, ob diese schon gut gehen wird? Und das, obwohl Sie sich gut darauf vorbereitet hatten.
Geht es in diesen Augenblicken nicht auch darum, anderen zu gefallen? Oder darum, ja nicht das das Gesicht zu verlieren? Vergessen wir dabei nicht, dass wir eigentlich spielen, weil wir es gern tun, weil wir es vor allem für uns selbst tun?
Je älter ich werde, desto weniger macht es mir aus, wenn etwas nicht gelingt. Das Resultat ist eine Freiheit beim Spielen, die Vieles ganz selbstverständlich gelingen lässt, ohne Stress und Selbstvorwürfe. Gute Vorbereitung ist die Voraussetzung, aber auch sie wird nie eine hundertprozentige Sicherheit bieten. Wozu auch? Die Welt geht nicht unter, wenn etwas nicht gelingt. Die Welt wird aber ärmer, wenn Musik (und Sport!) nicht mit großer Freiheit und Liebe ausgeübt wird. Mir ist bewusst, dass es viele Komponenten gibt, die hier entgegen wirken. Allein unser Unterbewusstsein, das in Schule und Musikunterricht leider viel zu oft darauf trainiert wird, unbedingt alles richtig machen zu wollen, kann hier ganz schön ins Handwerk pfuschen. Nehmen wir uns die neue Generation an Sport-Stars zum Vorbild. Indem wir offen mit unseren ‚Dämonen‘ umgehen, indem wir uns Hilfe suchen oder uns gegenseitig helfen, kann etwas entstehen, das so viel reicher ist als Perfektion: Musik, die unserem Inneren entspringt.
Kommentar schreiben