Mir ist aufgefallen, dass ich noch nie über unsere Konzertmeister geschrieben habe, obwohl ich in Gesprächen oft gefragt werde, wie sich deren besondere Aufgabe beschreiben lässt. Das Femininum in der Bezeichnung habe ich übrigens nicht vergessen, sondern deswegen nicht verwendet, weil es bisher nur Männer waren, die auf dieser Position spielten. Im Januar hat sich das geändert. Wir haben nun, zum ersten Mal in der Geschichte des Orchesters, eine Konzertmeisterin: Naoka Aoki. Wie der Name verrät, ist sie Japanerin.
Da Naoka noch sehr neu ist und ich sie aus diesem Grund noch nicht wirklich kenne, will ich am Beispiel von Lorenz Nasturica-Herschcowici beschreiben, was einen wirklichen Top-Konzertmeister, der er ohne Zweifel ist, ausmacht.
Lorenz ist ein unglaublich toller Geiger und kann sich problemlos mit den großen Solisten dieser Welt messen. Egal was es zu spielen gibt, im Orchester oder als Solist, immer ist es ein besonderer Genuss, ihm zuzuhören. Er kann aber viel mehr. Mit seiner außerordentlichen musikalischen Präsenz hält er den Laden zusammen. Das bedeutet, dass er sich in absolute Einheit mit der Dirigentin/dem Dirigenten begibt und die Interpretation in sein Geigenspiel überträgt. Im Prinzip machen das natürlich alle Musiker*innen, ausschlaggebend ist aber, dass Lorenz hier eine besondere Rolle einnimmt. Er trägt die Verantwortung dafür, dass das Orchester auf die Impulse vom Dirigentenpult reagiert, nicht nur, aber vor allem dann, wenn es nicht unmittelbar gelingt. Lorenz verleiht dann seinem Geigenspiel besonderen körperlichen Ausdruck, so kann man ihm problemlos folgen. Für uns Musiker*innen ist das enorm wichtig, besonders für die Stimmführer*innen, deren Spiel dasjenige ihrer gesamten Gruppe maßgeblich beeinflusst. Um sich wirklich zu synchronisieren, ist gemeinsames Atmen unabdingbar. Man kann sagen, dass Lorenz vorgibt, wie geatmet wird. Wenn er im Tempo ein-, anschließend wieder ausatmet und dabei die Energie auf seine Geige - übrigens eine Stradivarius - überträgt, ist es fast unmöglich, nicht mit ihm zu spielen. Lorenz kann das so gut, dass wir beim von ihm geleiteten Philharmonischen Kammerorchester problemlos ohne Dirigenten spielen können. Die Proben im Kammerorchester sind intensiv, aber trotzdem recht lustig, nicht zuletzt wegen der Arbeit mit Lorenz. Ein Beispiel:
Wenn es gerade keine Pandemie gibt, ist Lorenz international viel unterwegs. Fünf oder sechs Sprachen spricht er fließend. Aus diesem Grund sind seine Ansagen im Eifer des Gefechts, wie soll man sagen, zwischensprachlich? Zumindest unkonventionell. „Vamos. Spielen wir weiter. Let’s play den second Satz. Takt one-hundred-und-dreiundzwanzig!“. Da ist es nicht immer leicht, zu spielen, anstatt zu schmunzeln.
Wie Sie merken, bin ich ein großer Fan von Lorenz. Ich habe viel von ihm gelernt und empfinde es nach wie vor als Privileg, unter seiner Führung spielen zu dürfen.
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